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Auf unserer Pfarreireise nach Armenien besuchten wir an einem Sonntag den 12. Oktober 2008 die Kathedrale von Etschmiadsin 20 km westlich von Jerewan. Sie ist Teil einer Klosteranlage und Kathedrale des Patriarchen der armenisch-apostolischen Kirche in der armenischen Provinz Armawir, des Katholikos vom Heiligen Stuhles St. Etschmiadsin.

Wir besichtigten die Hauptkathedrale, zu sowjetischer Zeit die älteste Kirche der Union. Die zahlreichen Anbauten, wie verschiedene Kapellen oder auch der wunderschöne Glockenturm sind weit jünger. Die Kathedrale wurde bereits einige Jahre nach ihrer Erbauung von den Persern zerstört und wieder aufgebaut. Viele Fremdherrscher haben dieses Kirchenzentrum immer wieder zerstört und es wurde immer wieder schöner, reicher und noch grösser aufgebaut.

Durch das Trdat Tor bewegte sich langsam ein langer geistlicher Männerkolonne vom „päpstlichen“ Zentrum zur Kathedrale hin. Zuerst die jungen Novizen mit den roten Stolas noch ohne Kapuze, dann die Priester und am Schluss der Katholikos im violetten Mantel und als einziger mit einem kleinen Kreuz auf der Kapuze. Ich stand bei der Säule am Eingang zur Kathedrale unter vielen Leuten und war nicht der einzige der fotografierte.

Ein Rang tieferer als der Katholikos schenke mir einen kurzen prüfenden Blick. Der Katholiken legte den Frauen zum Segen die Hand auf die Stirn, erkennbar auf dem Foto.

Bald begann die hl. Messe und das Volk strömte in die Kirche, alle standen. Die hohen Geistlichen begannen vorne im Altarraum die hl. Messe zu zelebrieren. In der Mitte der Kirche war das Allerheiligste mit der Hostie aufgestellt.

Der Kirchenchor und ein Tenor sangen im rechten Seitenschiff. Eine Frau spielte an der einfachen Orgel und im linken Seitenteil wurden Kerzen angezündet. Während der zwei Stunden dauernder Messe war ein Kommen und ein Gehen. Das Volk ist eigentlich nicht aktiv eingebunden in die Messe.

Um 12:34pm man kann meine Frau Bea ganz in orange erkennen und links davon die Lustenbergers. Zu diesem Zeitpunkt habe ich mich von der grossen Masse abgesetzt und bin ganz alleine rechts herum ganz aussen der weitläufigen Ummauerung entlang gelaufen, mit Blick auf die Kathedrale 12:36h. Kein Mensch war mehr zugegen und ich genoss die Ruhe, bis ich etwas mir unbekanntes entdeckte.

Vor einer angelehnten Tür zu einem Zimmerchen in der Mauer sah ich zwei Personen. Beide waren ganz in eine Beschäftigung vertieft. Eine Frau beugte sich zum am Boden kauernden Mann nieder. Sie hatte zwei Tauben in der Hand und der Mann hantierte mit einem einfachen Küchenmesser welches vorne gerundet war. Der Mann hatte ein blaues langes Gewand an. Ich machte aus grosser Distanz mit Zoom ganz unbemerkt ein Foto und bewegte mich langsam zu ihnen hin. Sie bemerkten mich eine ganze Weile nicht, so vertieft waren sie in ihre Beschäftigung. Der Mann ritzte das Bein der Tauben etwas ein und ein kleiner Blutstropfen trat hervor. Die Frau tupfte nun behend mit dem Finger den sich bildenden Blutstropfen mitten auf die Stirn. Ich wusste nicht was da geschieht und schaute wohl sehr verdutzt drein als sich die Frau wieder erhob. Ich glaube sie waren so überrascht wie ich. Die Zeremonie, welche ich sah hat schliesslich nur ein paarAugenblicke gedauert. Die Frau begann auf mich herein zu reden und ich verstand natürlich kein Wort. So habe ich ihr ganz auf Schweizerdeutsch und mit meiner Gestik erklärt dass ich ein gutes Foto gemacht habe und zeigte gleich auf dem Display den Schnappschuss. Sofort begann das Eis zwischen uns zu schmelzen und die Frau hat dann freundlich weitergesprochen und mir wohl erklärt was sie gerade gemacht haben. Ich war sehr erleichtert für die schnell auftauende Stimmung. Wir haben uns einige Momente in unseren Sprachen, ich auf Schweizerdeutsch, unterhalten wie wenn wir uns gut verstehen würden. Ich habe natürlich den Sinn der Handlung überhaupt nicht verstanden. Ich habe nur gemerkt, dass ich da wohl etwas Besonders beobachtet und fotografiert habe. Bald kramte die Frau ein paar kupferfarbene farbige Münzen hervor und wollte sie dem Tempeldiener geben. Da habe ich gedacht ich müsste auch etwas zu meiner Entschuldigung beitragen und konnte schliesslich dem Opferknecht meinen Obolus geben. Die Stimmung wurde noch freundlicher und wir haben uns sehr gut verstanden, leider nicht in Worten, dafür sicher in der Gestik und im Ton. Zum Abschied hat die Frau ihren Kopf an meine linke Schulter gelegt und ich habe sie umarmt. Ich war zutiefst bewegt über diese warmherzige Gestik und habe auch ihren Kopf berührt. Ich glaube sie hat das wie einen Segen aufgefasst, wie auch ich. Ich hatte zufälligerweise auch meine grosse rote Windjacke offen über meine Schultern getragen und das hat wohl ausgesehen wie fast beim Katholikos mit seinem violetten Mantel als er die Hand auf das Haupt der Frauen gelegt hatte. Ja etwa so war mein Gefühl. Da hat doch ein mir völlig unbekannte Grossmutter mich zum Abschied innig gedrückt. Da gibt es jetzt kein Bild davon, nur meine besondere Erinnerung ist geblieben. Dann schritt die Frau mit den beiden Tauben und dem Plastiksack in Richtung Kathedrale davon.

Ich ging dann in die Kathedrale zurück und habe Kerzen angezündet und schon bald war die Zeit zur Weiterfahrt gekommen. Unser Reiseleiter hat mir erklärt, dass ich ein Abrahamopfer wie es im alten Testament beschrieben ist erlebt habe. Wir waren doch schon 9 Tage durch ganz Armenien unterwegs und ich war genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Wieso durfte ich nur an einer echten Zeremonie aus dem alten Testament heute noch teilhaben? Das ist für mich ein unbeschreiblicher Zufall, welcher mir hier widerfahren ist.

Weiter erklärte der Reiseleiter dass es ein Dankesopfer war für eine gut ausgegangene Geburt. Und das die geschlachteten Tauben zur Speise nach einer bestimmten Regel unter den Angehörigen aufgeteilt werden müssen. Nur… die zwei Tauben lebten noch wo war das Opfertier geblieben? Ich bin Heute überzeugt, dass die Frau die beiden Tauben an den Beinen anritzen liess und sie dann fliegen liess. Erst später zu Hause in der starken Vergrösserung der einzigen Foto am Compi, entdeckte ich im Plastiksack geschlachtete Tauben. Also hat der Tempeldiener während des Gottesdienstes ihres Papstes die Tauben geschlachtet und somit das Abrahamsopfer für die Frau ausgeführt. Und dann hat sie den Tempeldiener für die Opferzeremonie entlöhnt.
Zu jener Zeit war Sandra mit den Zwillingen schwanger und ich hatte zum Voraus schon Sorgen, dass alles hoffentlich gut klappte. Jedenfalls hat mir diese Begegnung ab diesem Zeitpunkt Zuversicht gegeben und unsere lieben Enkel sind gut behütet aber im letzten Moment am 9. Februar 2009 auf die Welt gekommen. Am letzten Sonntag den 30. Dezember 2012 wurde ich von Bernd Lenfers eingeladen die Lesung der heiligen Familie von Lukas in unserer Kapelle zu halten, wo die alte Frau Hanna von ihrem jahrelangen Warten auf den Erlöser erlöst wurde. Als Maria und Josef mit dem Jesuskind in den Tempel kamen erkannte sie was passierte und sie musste singen und tanzen, und sie durfte endlich die zwei Tauben opfern. Der Tempeldiener ging in die Stadt und hat allen das freudige Ereignis des Kommens von Jesus erzählt und dass er jetzt in Frieden sterben kann. Auf einem Mal war ich wieder mitten in meinem Erlebnis in Armenien und die Geschichte vom Evengelist Lukas ging mir unter die Haut.

Im alten Israel galt als Gesetz für die Frauen, dass sie nach der Geburt eines Kindes ein einjähriges Lamm als Brandopfer und eine junge Taube als Sühneopfer darbringen sollten, weil eine Frau durch die Blutung bei der Geburt als rituell unrein galt (3. Mose 12,6 und 7). War die Familie zu arm, konnte sie auch anstelle eines Lammes zwei junge Tauben als Opfertiere nehmen (3. Mose 12,8). Die bekannteste jüdische Frau, die von diesem «Ersatzopfer» Gebrauch machte, war Maria, die Mutter von Jesus.